Gunter Böhnke Foto: C. JescheDienstagnachmittag, Café Grundmann. Gunter Böhnke muss man nicht
vorstellen. Im Café Grundmann schon gar nicht: Die Kellnerin weiß
schon, was er bestellen will: Kaffee und Wasser. An diesem heißen Tag
bevorzugt Gunter Böhnke jedoch Eiskaffee und spricht mit Carl Jesche über 1989, das NEUE FORUM und die Erinnerung an stürmische Zeiten.


CJ: Herr Böhnke, schön, dass Sie Zeit für uns haben. Sie waren ja auch
mal im NEUEN FORUM aktiv…

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ja, sehr. Ich habe mich damals, glaube ich, im Pfarramt von Michaelis in die Unterzeichnerliste eingeschrieben. Das war, als ich gerade aus der SU zurückkam, das NEUE FORUM war noch illegal.

CJ: Aus der Sowjetunion?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ich war bis zum 30. September 1989 an der Trasse. Da haben wir vor ganz verschiedenen Leuten gespielt, auch vor Funktionären. Und da gab es ganz verschiedene Meinungen, wie es weitergehen soll in der DDR – von: Alles ist gut so und bleibt am besten so, bis: Das geht nicht mehr lange.

CJ: Das war ja die Zeit, als viele politisiert wurden.

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Das ging damals los mit dem Sputnikverbot, mit dem Pleißemarsch, den Botschaftsbesetzungen in Prag und Warschau, mit Ungarn, dass da so viele über die Grenze sind. An der Trasse war alles noch wie DDR. Dann habe ich vom Verbot des NEUEN FORUM gehört und meine Frau und ich haben gesagt: Da machen wir mit. Das war zu einer Zeit, als wir noch Schiss hatten. Wir hatten eine große Wohnung, und immer, wenn ich von der Vorstellung gekommen bin, war die ganze Wohnung verqualmt und im Wohnzimmer saß meine Frau mit 30 Leuten, die rauchten und diskutierten. Dann haben wir uns in der methodistischen Kirche getroffen – es gab ja keine Versammlungsräume…

CJ: …ich weiß, wie ich damals die Leiterin des Clubhauses Steinstraße
bekniet habe…

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ja. Ich kann mich noch an Jochen Läßig erinnern, wie er mit flackernden Augen vorn stand und immer wieder “Keine Macht!” rief. Mit Thomas Rudolph habe ich auch mal etwas gemacht. Es gab dann Arbeitsgruppen zu allen möglichen Themen, z. B. Umwelt. Und es gab dann auch solche Sachen, dass der Leiter der AG Regierungskriminalität nicht weitergab an den Rat der Stadt, was wir herausgefunden hatten, wenn irgendwo dunkle Sachen liefen. Kein Wunder, er war auch ein IM. Das haben wir später erfahren.
Das waren Arbeitsbedingungen damals… Wir hatten im Neuen Forum keine Computer, kein Telefon, keine Räume. Dann gab es den Beschluss des Stadtrats, dass die SED-Kreisleitung uns ihr Haus überlassen musste.

CJ: Das ist das heutige Haus der Demokratie.

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ja. Da standen wir vor der Tür. Die SED-Leute waren wahnsinnig freundlich, haben uns hereingebeten. Alles sah unheimlich unaufgeräumt aus. Sie sagten: „Wir müssen das Haus leer übergeben. Wir kommen nicht hinterher. Wir müssen alles wegschmeißen. Können wir noch vier Wochen dableiben?“ Und freundlich, wie wir waren, haben wir gesagt: „Ja, klar.“
Es gab da viel Engagement, aber auch viel Ahnungslosigkeit. Naja, und dann gingen viele in den Beruf zurück. Es gab dieses extrem unterschiedliche Niveau an politischen Erfahrungen: Da waren die aus den Basisgruppen, die schon Erfahrungen gesammelt hatten. Und dann gab es die anderen, die im Beruf alles liegen gelassen und mal eben Politik gemacht haben. Da ging manches etwas schleppend.
Ich kann mich erinnern, dass meine Frau und ich Ordner waren bei der Demo vor dem Reichsgericht, mit Armbinde. Und dann kann ich mich noch erinnern, dass ich so Anfang Oktober 89 nach der Montagsdemo den damaligen Kulturdezernenten von St. Ingbert aus dem Saarland getroffen habe. Der hat mich gefragt: „Was kann ich machen?“ Ich habe ihm gesagt: „Du kannst dich bei euch auf den Markt stellen und für das ‘NEUE FORUM’ Geld sammeln.“ Und das hat der gemacht! Über 800 Mark hat er gesammelt!
Dann kamen die Kopierer, Faxgeräte, die Räume waren verfügbar. Unsere Wohnung wurde wieder bewohnbar. Dann waren die Wahlen, und dann habe ich nichts mehr vom NEUEN FORUM gehört.

CJ: Ja, das war die Zeit des Wahlbündnisses und des Streits über die
gemeinsame Partei. Sie kommen ja viel herum. Wie reagieren die Leute im
Ausland, wenn sie mitkriegen, dass Sie 1989 in Leipzig dabei waren?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Das ist faszinierend. Ich war 1990 in Frankreich. Wie viel die Leute gewusst haben! 1993 haben wir eine USA-Tournee gemacht. Da habe ich auch ein ehrliches Interesse für die Ereignisse erlebt. Beeindruckt hat mich, dass es viele einfache Leute waren, die mich angesprochen haben. Die hatten alles im Fernsehen gesehen, was wir schon wieder vergessen hatten. Man hätte damals viel mehr sammeln und aufschreiben müssen!

CJ: Das ist eine gute Überleitung zu nächsten Frage: Heute, 20 Jahre
nach der friedlichen Revolution, scheint es, als ob alle schon vor 1989
gegen die SED waren, selbst die damaligen Funktionäre. Bearbeiten Sie
das auch im Kabarett?

Gunter Böhnke: Wir hatten damals Glück. Wir mussten unser Programm nicht komplett ändern, wir hatten schon Themen wie Umweltschutz.

CJ: Wir, das heißt in dem Fall Bernd-Lutz Lange und Sie?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ja. Wir haben damals alles sofort auf die Bühne gebracht, zum Beispiel die Erfahrung beim ersten Besuch im Westen.
Das “academixer”-Programm „Schwarz-rot-goldig“ befasst sich heute auch damit. In unserem Programm geht es um die Jubilarin, die 60 wird, sie kommt aber nicht. Lustig ist, dass die Leute oft nicht zu merken scheinen, wer da eigentlich gemeint ist, auch, wenn es Hinweise gibt wie: „Die Jubilarin ist glücklich von Bonn nach Berlin übersiedelt.“ Wir sprechen aber nicht über die Einheitsfeier oder über Vermarktungsstrategien des Revolutionsgedenkens. Na ja, höchstens mittelbar. Interessant finde ich diesen Gegensatz zwischen Erwartungen und Realität – oft wurden die Erwartungen nicht erfüllt, wenn man dann nachfragt, sind die Leute aber doch recht zufrieden. Es wird wohl zwei Generationen brauchen, bis tatsächlich Gleichheit herrscht zwischen Ost und West. Wer das schon mal gesagt hat, weiß ich nicht. Da sind wir eben nicht gleich. Na und? Italien hat auch einen Norden und einen Süden. Ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl beim Einheitsvertrag wäre aber ganz gut gewesen.

CJ: Und was ist Ihr Eindruck im „Wende“-Jubiläumsjahr?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Ich bin mir noch nicht ganz klar, ob die vielen Veranstaltungen wirklich sinnvoll sind. Jede tut so, als ob die im Podium uns sagen könnten, wie eigentlich es war. Das kann gar keiner wissen. Ich nehme so eine allgemeine Jubiläumsverdrossenheit wahr, auch ein bisschen bei mir. Und Zweifel: Die Dinge, an die ich mich erinnere, sind mitunter extrem verschieden von dem, was ich in der Zeitung lese. Die Großen Sechs vom 9. Oktober 1989 sind ja ganz unterschiedlich zu bewerten. Und die SED-Funktionäre
darunter – die haben einfach nur den richtigen Riecher gehabt. Trotz extrem anderer politischer Einstellung.

CJ: Wie sehen Sie das NEUE FORUM heute?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Es ist eine legitime Partei. Und sie kommt aus der Ecke, wo ich auch herkomme. Meine Wahrnehmung ist da positiv – das sind meist Gesichter, die ich kenne, keine mit Schlips und Kragen, sondern Leute, die auf dem Boden stehen, die mit anpacken und ihre Arbeit machen. Und, natürlich, da ist auch ein bisschen ein nostalgischer Schlenker dabei: Die Erinnerung an diese ermutigende Erfahrung, wie langsam das alles ging, welche Zeit zur Selbstfindung nötig war. Und dann war der Wessi schon da, wie bei „Hase und Igel.“ Ich bin aber froh und glücklich, das erlebt zu haben.

CJ: Können Sie die Wahl des NEUEN FORUM heute empfehlen?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Könnte ich, mache ich nicht! Ich bin Kabarettist und habe mich zur politischen Neutralität verpflichtet! Eine kleine Partei wie das NEUE FORUM zu unterstützen ist gut, die großen können sich ja selbst unterstützen.

CJ: Wieso ist es gut, eine kleine Partei zu unterstützen?

Gunter Böhnke. Foto: C. JescheGunter Böhnke: Nicht jede! – Die großen Parteien, die haben nicht nur einen Haufen Geld, sondern auch einen Apparat, ein bisschen wie die Funktionäre damals, mit ihren Geradeausdenk-Strategien: Immer ist alles richtig, was sie tun. Bei einer kleinen Partei kann man hoffen, daß die Leute noch etwas unverbrauchter sind.

CJ: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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