CJ: Warum stellst du dich zur Wahl?
Oliver Kloß: Diese Frage muss in einer Demokratie ebenso wenig begründet werden wie die Frage, weshalb ich wählen gehe. Es mag anmaßend klingen, aber ich wüsste einfach nicht, wen ich wählen sollte, wenn ich nicht mit dafür gesorgt hätte, dass das NEUE FORUM zur Kommunalwahl antritt. Und da ich mein Wahlrecht nicht ungenutzt lassen wollte …
CJ: Das NEUE FORUM ist zwar eine bundesweit agierende Partei, doch mit vergleichsweise geringem Einfluss. Manche sehen es als eine Art Freundeskreis, der sich aus der Tradition der DDR-Opposition erhalten hat, ehrbare Geister, doch ohne Willen zur Macht. Unter den rund 70 Parteien der Bundesrepublik dürfte das NEUE FORUM jedoch wiederum zu den bekannteren zählen. Warum trittst du gerade für das NEUE FORUM an?
Oliver Kloß: Als Politikwissenschaftler mache ich mir keine Illusionen über den möglichen Einfluss des NEUEN FORUM. Aber in einer Zeit, in der die SPD und die Grünen seit 1998 eine geradezu unheimliche Anähnlichung an die neoliberale Doktrin von CDU und FDP gezeigt haben, kann das NEUE FORUM – es ist 1989 gegen die Herrschaft der gleichgeschalteten Blockparteien in der SED-Diktatur gegründet worden – noch einmal als „weißer Rabe“ ein Angebot bieten.
Es kann für die eine Alternative sein, die den Pluralismus-Verlust spüren und doch zu redlich sind, um aus bloßer Frustration Die Linke oder NPD wählen zu wollen. Mindestens auf kommunaler Ebene ist das sinnvoll. Übrigens ist der Wille zur Kontrolle von Macht natürlich auch ein Machtwille, ein Wille zur Verteilung von Macht.
CJ: Was hältst du von der Partei Die Linke, die zumindest rhetorisch den Inhalten des NEUEN FORUM nicht ganz fern steht und seit der West-Ausdehnung durch den Beitritt der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) an Einfluss gewonnen hat?
Oliver Kloß: Der letzte gelungene Trick Gerhard Schröders war gewiss die vorgezogene Neuwahl des Bundestags 2005. Zwar ist die Rechnung für ihn persönlich nicht aufgegangen. Der WASG aber wurde die Zeit genommen, die sie benötigt hätte, um als eigenständige unbelastete Partei überhaupt entstehen zu können.
Die WASG wollte als Abspaltung der SPD zu dieser eine Wahl-Alternative bieten. Unter Termindruck gesetzt, driftete die WASG mit Oskar Lafontaine aber rettungslos in Richtung der Partei-Kasse der PDS, die in der allzu-friedlichen Revolution von 1989 nie enteignet worden ist.
So vereinigten sich Menschen, die Gerhard Schröder unerträglich fanden und die SPD mit guten Gründen verlassen hatten und überwiegend pro-kapitalistisch-sozial eingestellt waren und sind, mit solchen, die nur der alten Staatsklasse der DDR eine weiterhin gute Versorgung sichern wollen.
Die Sozialkritik der PDS blieb stets dem Zweck verpflichtet, die sozial Benachteiligten zur Identifikation mit der alten DDR-Funktionärsklasse zu ermuntern, um deren Einfluss in der Bundesrepublik zu stärken. Wo die Altfunktionäre es dann zum Mit-Regieren gebracht hatten, wie in Berlin und anderswo, erwiesen sie sich als dankbare Vollstrecker anti-sozialer Politik. Erinnert sei an Wolfgang Clements Lob an die Berliner PDS-Senatoren, sie seien vorbildlich in der Umsetzung der Politik Gerhard Schröders. Die PDS-Genossen haben nicht widersprochen.
Zweitens: Was Die Linke vom NEUEN FORUM prinzipiell unterscheidet, ist die anti-kapitalistische Rhetorik: Wer „System-Opposition“ vorgibt, muss innerhalb des Kapitalismus eigentlich nichts verbessern, darf ihn nicht sozialer machen wollen. Im Gegenteil! Woran sollte sich ohne Leiden am Kapitalismus denn die Sehnsucht nach dessen Jenseits entzünden? Der kommunistische Wahn ist schier nicht zu ent-täuschen, denn jeder Misserfolg in der Verbesserung des Kapitalismus ist gerade deshalb ein „Beweis“ für dessen grundsätzliche Schlechtigkeit.
Der so genannte Neoliberalismus ist demgegenüber gleichsam nur die Negativfolie unter anderem Vorzeichen, propagiert vermeintliche Sachzwänge innerhalb des Kapitalismus.
Im Prinzip sind sich beide Richtungen in der Analyse einig, ziehen aber entgegengesetzte ganzheitliche Konsequenzen. Die Neoliberalen sagen: „Es gibt keine Alternative!“ (M. Thatcher). Die Kommunisten sind nur auf die Total-Alternative fixiert.
Drittens: Durch die WASG sind fraglos einige ehrenwerte Politikerinnen und Politiker aus dem Westen der Bundesrepublik in Die Linke geraten. Doch dieses Erstarken hat die PDS gerade nicht dazu verleitet, sich auch nur von den schlimmsten politisch-personellen Altlasten zu trennen.
Ein Leipziger PDS-ler sagte mir einmal, ich möge doch Verständnis für Dr. Volker Külow haben: Wer ihn nur einmal aus der Nähe gesehen habe, werde sich des Eindrucks schwer erwehren können, dass es da einer nicht leicht gehabt haben mag, sich mögen zu lernen. – Aber lässt sich damit soviel Nachsicht schinden, dass man ihn als einstigen bezahlten Spitzel, als Sykophanten, zu tolerieren habe, der zum Troste sein Landtagsmandat und sein Stadtratsmandat behalten können musste? Parlamente sind keine Therapie-Veranstaltungen, sondern Orte, wo machtvoll Entscheidungen gefällt werden.
Eine nicht ernst zu nehmende Opposition, eine SED-PDS/Die Linke, welche die Freiheitsfeinde von gestern rhetorisch zu „Original-Sozialen“ lügt, stärkt letztlich nur anti-soziale Politik.
CJ: Das waren deutliche Worte. Nur mal angenommen: Welcher Partei stündest du nahe, wenn es das NEUE FORUM nicht gäbe?
Oliver Kloß: Alle freiheitlich-demokratischen und sozialen Errungenschaften sind in Deutschland den Linksliberalen und der Sozialdemokratie zu danken. Eine linksliberale Partei gibt es nicht mehr, seit die Grünen einst zentrale Positionen verlassen haben.
Ich wäre wohl inzwischen SPD-Mitglied, wenn dies nach dem Jahre 2000 schon wieder ohne intellektuelle Peinlichkeit möglich wäre.
Was die Europa-Wahl anbetrifft, so werde ich durchaus die Sozialdemokratie mit meiner Stimme stärken, denn auf Ebene des Europäischen Parlamentes ist sie nach wie vor eine soziale und demokratische politische Kraft. Mag Constanze Krehl, die in Leipzig für die SPD aufgestellt worden ist, eine blass-profillose Erscheinung sein, die schon mit einem Weihnachts-Video voller unfreiwilliger Komik in die politische Stadtgeschichte eingegangen ist, so haben sich doch Politiker wie Martin Schulz und andere in der Fraktion des Europa-Parlaments von Gerhard Schröder angenehm unbeeinflusst gezeigt.
Dies kann man von der SPD auf Bundesebene noch lange nicht behaupten, denn deren Politik wird noch immer von der Clique um Gerhard Schröder bestimmt.
Wurden nach der Abwahl der konservativ-liberalen Koalition unter Helmut Kohl deren besonders üble politische Entscheidungen aus der Endzeit dieser Regierung von der rot-grünen Koalition zurückgenommen, so trat bald wieder Ernüchterung ein.
Man erinnere sich zum Beispiel des nach 1998 wieder eingeführten Verbots der Scheinselbständigkeit. Es wurde nach Lafontaines Rücktritt von der Schröder-Regierung nicht nur wieder abgeschafft, sondern diese „abhängige Selbstständigkeit“ wurde zu Ungunsten sowohl der Einkommen der Betroffenen wie der Sozialkassen regelrecht zur Chance und Verheißung stilisiert.
Frank-Walter Steinmeier ist heute Kanzlerkandidat und wird immer noch offen als Autor der „Agenda 2010“ gerühmt.
CJ: Du hast dich ab 2003 gegen die Agenda-2010-Politik der Bundesregierung engagiert, aber hast du auch Verständnis für diejenigen, die diese so genannten „Reformen“ für unausweichlich hielten?
Oliver Kloß: Ich kann Menschen verstehen, die sich nicht ausreichend informieren. Von gewählten Mitgliedern der Parlamente darf man erwarten, dass sie wissen, was sie tun.
Wir leben nicht in einem Staat wie der DDR. Heute sind uns alle wichtigen statistischen Zahlen frei zugänglich, ob im Internet oder dem Jahresbericht, der bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostengünstig bestellt werden kann. Das Statistische Bundesamt ist eine verlässliche Institution. Keiner kann sagen, er hätte es nicht wissen können.
Aber auch für alle, die sich nicht gern mit Zahlen beschäftigen, hätte deutlich sein müssen, dass es keine ökonomischen Zwänge gab, die Arbeitslosen ihrer Versicherungsleistungen zu enteignen. Zugleich wurden die Wohlhabendsten steuerlich entlastet. Allein die Tatsache, dass Deutschland immer wieder als Export-Weltmeister gerühmt worden ist, hätte einsichtig werden lassen können, dass die viel beschworene Globalisierung gerade kein Problem für Deutschlands Wirtschaft darstellt.
SPD-Mitglieder waren über Jahre einer schier enthemmten innerparteilichen Desinformation ausgesetzt: Man nehme sich nur den „Vorwärts“ aus dem September 2004 zur Hand! Dort steht auf Seite 6 tatsächlich zu den Hartz-Gesetzen als Zwischenüberschrift die dreiste Lüge: „90 Prozent aller Sozialhilfeempfänger profitieren.“
Nach solcher Desinformation, der ersten richtigen Abwahl einer regierenden SPD auf Bundesebene neben den zahlreichen Abwahlen in den Ländern ist es bis heute in der SPD zu keiner öffentlichen Analyse des Niedergangs der SPD gekommen.
CJ: Siehst du inzwischen ein Abrücken von der Schröder-Ideologie in der SPD?
Oliver Kloß: Inhaltlich mag es für den Wahlkampf ein Abrücken von den Inhalten geben, die Gerhard Schröder propagiert hat und die zum Verlust von mehr als einem Drittel (!) der Mitgliedschaft der SPD geführt haben.
Zum Beispiel spricht sich Franz Müntefering heute für die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 47 Prozent aus, um den weiteren Zerfall der SPD zu bremsen. Er hofft auf den Gedächtnisverlust der Wähler, denn vor wenigen Jahren hat er mit dafür gesorgt, dass der Spitzensteuersatz so tief gesenkt worden ist wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Gerhard Schröder dürfte nun in seinem Millionen-Job als Putin-Lobbyist auch von dieser eigenen Entscheidung begünstigt sein.
Die Ausweitung des Niedriglohnsektors hat die SPD zu verantworten. Nun will sie durch Mindestlöhne die schlimmsten Folgen der eigenen Politik eindämmen. Das ist nicht überzeugend.
Letztlich ist aber keine ernstliche Abkehr erkennbar, solange die SPD die gravierendsten Eingriffe nicht rückgängig machen will, Hartz IV bzw. das Arbeitslosengeld II nicht einmal auf das Niveau der einstigen Sozialhilfe angehoben werden soll.
Die Mitschuldigen besetzen noch die höchsten Posten in der SPD, lavieren vor sich hin, lassen es an Nibelungentreue zum Altkanzler nicht fehlen, leider.
CJ: „Nibelungentreue“? – Eine sehr gewagte Metapher, wenn man bedenkt, dass die Nibelungen an ihrer Treue zu Hagen von Tronje letztlich untergingen!
Oliver Kloß: Politik verläuft meist träger und traditionsverhafteter als man wünscht oder fürchtet. Die SPD ist so schnell nicht ganz zu zerstören, auch nicht von Gerhard Schröder oder Frank-Walter Steinmeier. Die SPD hat Noske überlebt und wird wohl auch die Clique um Gerhard Schröder überleben. Aber es wird einige Jahre dauern ehe der sozial-, wirtschafts- und finanzpolitische Schaden, der angerichtet worden ist, wieder behoben sein wird.
Der erste Schritt dazu wäre die Einsicht, dass die Politik der Erfüllung der CDU-Träume für die SPD eine Sackgasse war. Ohne diese Einsicht ist kein Entkommen aus dieser Sackgasse. Insofern trägt der Vergleich mit den Nibelungen schon, aber für die SPD ist der Weg noch offen zur Aufkündigung einer verhängnisvollen Treue. Für die Mehrheit der Menschen ist es trotzdem schade um die verschenkten Jahre.
Solange nicht einmal der erste Schritt in der SPD gegangen worden ist, wird aber jede Stimme für die SPD – auch auf Kommunalebene – von den Schröder-Anhängern als Bestätigung und Stärkung interpretiert werden. Sie lechzen danach. Franz Müntefering kam sich nicht einmal zu komisch vor nach der letzten Landtagswahl in Sachsen sogar den „Wahlerfolg“ der SPD zu feiern, obwohl ein noch schlechteres Ergebnis kaum möglich war.
Daher kann ich auch kritischen SPD-Mitgliedern nur empfehlen: In der Europa-Wahl: SPD! In der Kommunalwahl aber: Drei Kreuze für das NEUE FORUM! – So wird die Absage an die Schröder-Anhänger besonders deutlich!
CJ: Wenn Du in den Stadtrat kommst, was ist mit Deiner Stimme nicht zu machen??
Oliver Kloß: Ich werde verlässlich gegen alle Versuche stimmen, die öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren streben. Ich habe selbst an der erfolgreichen Abstimmung zu Gunsten des Erhalts kommunaler Dienstleistungen teilgenommen.
Ansonsten lässt sich in unserem Kommunalwahlprogramm nachlesen, worauf ich mich verpflichte.
CJ: Wenn Du gerade keine Politik machst, was machst Du dann am liebsten? Was sind Deine Hobbys?
Oliver Kloß: Ich lese gern und interessiere mich für Kunst. Mit meiner Tochter unternehme ich Rad-Touren, besuche Museen und Ausstellungen. Wie wohl alle, nutze ich die gewonnene Reisefreiheit.
Vor dem Wahlsonntag werde ich die nächste Opern-Premiere in Leipzig besuchen, aber mein Musikgeschmack kennt Vielfalt. Noch immer mein Lieblingstitel: „Cry for the fire“ von „The Residents with Snakefinger“.
Oliver Kloß ist Kandidat des NEUEN FORUM für den Wahlkreis 6 und einer der Sprecher des NEUEN FORUM Leipzig sowie im Landesverband Sachsen des NEUEN FORUM. Die Fragen stellte Carl Jesche.